Über das Fragen -:- The art of asking
Sonntagmorgen, meine Milch ist alle. Stadtkind- an den Sonntagsladen gewöhnt, kurz im Schlafanzug und ungekämmt zum Bahnhofs-Shop.
An der Kasse die Erkenntnis: kein Portemonnaie dabei. Und jetzt? 16 Cent fehlen. Das kann ich mir doch sicherlich erfragen. Dafür muss ich jetzt nicht nochmal nach Hause.
Die junge, schicke Hipstergöre mit den aufgemalten Augenbrauen ist die erste Person, die vor mir steht. Ich frage, sie guckt erst skeptisch, zuckt dann mit den Schultern, holt ihr Portemonnaie raus. Ich sage nochmal extra: Du kannst auch NEIN sagen. Sie, schaut nicht mehr so skeptisch: „Na, 16 Cent… kein Ding.“
Ich sag ihr, dass sie mein Frühstück gerettet hat und dass ich wünsche, dass das Leben ihr das zurückgibt. Und freue mich sehr. Sie freut sich auch. Wir beide freuen uns, der Tag beginnt gut.
Irgendwann vor Jahren ist mir das beim Trampen klar geworden: Dass Menschen nicht nur Freude haben, wenn sie etwas geschenkt bekommen, sondern auch dann, wenn sie etwas geben können. Und dass wir in unserer Massenkonsumgesellschaft Jahr für Jahr mehr verlernen, einfach nach Dingen zu fragen, anstatt sie zu kaufen. Und dass es mir sehr sehr gut tut, mir das „einfach-mal-fragen“ wieder zurück zu erobern.
Als ich das erste Mal getrampt bin, hab ich mich beobachtet gefühlt, unwohl, wie eine Bettlerin. Heute strahle ich die Menschen in ihren Autos an, und sie strahlen mich an, und ich realisiere, was für ein langer innerer Weg das für mich war, mich nicht mehr damit unwohl zu fühlen, dass die Menschen denken könnten, ich „bräuchte“ etwas. Ich wäre „bedürftig“.
Heute bin ich sehr froh darüber, erkannt und in mir normalisiert zu haben, dass ich bedürftig bin. Ich habe Jahre gebraucht, unter meinen Gelüsten wie Essen, Feiern, Trinken, Rauchen, … meine Bedürfnisse wieder zu finden. Will ich wirklich gerade mit Freunden Bier trinken- oder will ich nicht eigentlich das Gefühl haben, in einer Gemeinschaft aus Freunden zu sein und mich austauschen zu können, was auch völlig ohne Bier funktioniert? Will ich wirklich gerade essen, oder möchte ich mich voll, zufrieden, satt (geliebt, aufgehoben, geistig genährt…) fühlen? Will ich feiern gehen, oder will ich -wieder- einfach nur das Gefühl haben, zugehörig zu Menschen zu sein?
Der erste Schritt zum einfach-mal-fragen ist also, zu erkennen, was ich gerade brauche. Dafür muss ich oft innehalten und lange für Stille in mir sorgen, und dann muss ich da reinhören. Und ich darf nicht aufhören, immer weiter zu fragen, wenn mir etwas spanisch vorkommt. Darin werde ich immer besser, das klappt schon recht flüssig.
Der zweite Schritt ist schwieriger und ich bin noch mitten im Prozess, ihn zu lernen: das Vertrauen, dass auch andere Menschen sich selbst und ihre Grenzen kennen.
Sehr lange habe ich ein schwer autarkes Leben gefahren und niemanden um Hilfe oder Gefallen gebeten, weil ich tief in mir die (natürlich unbewusste) Angst hatte, Menschen auszunutzen, zu überfordern oder gegen mich aufzubringen, weil ich zu viel von ihnen erwarte. Mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass das zwei Seiten derselben Medaille sind- ich selber habe mich bei Anfragen von Freunden oft übernommen und bin über meine Grenzen gegangen. Und weil ich nicht fähig war, meine Grenzen zu wahren, war für mich unbewusst klar, dass das auch meine Freunde nicht können.
Wenn ich heutzutage um einen Gefallen bitte, wenn ich an der Tankstelle frage, ob eine Autofahrerin mich mitnehmen würde, wenn ich meinen Freund frage, ob er mir eine Massage geben würde, wenn ich im Laden frage, ob ich 16 Cent geschenkt haben könnte, dann schiebe ich zumeist den Satz mit dazu: „Du kannst auch nein sagen!“ Falls die Person das auch noch nicht so gut kann. Und ich gehe endlich nicht mehr (immer und ausschließlich) unterbewusst davon aus, dass mein Bedürfnis für andere Menschen eine Zumutung wäre- vielleicht freut meine Freundin sich ja, mich zu massieren, so wie es mir ebenfalls Spaß macht, andere Menschen zu berühren. Und vielleicht freut sich der Autofahrer, nicht allein in dem Auto zu sitzen.
Und vielleicht, in meiner Wahrnehmung sogar recht sicher, wird die Welt wieder enorm viel schöner, wenn wir alle unsere Mitmenschen fragen, statt entweder unbefriedigt durch die Welt zu gehen oder immer gleich das Portemonnaie zu zücken, wenn wir etwas brauchen.
Das alles, das ist auch ein tiefgreifend wirtschaftliches Konzept. Da heißt es -leider etwas sperrig – Tauschlogikfeiheit. Friederike Habermann hat wahnsinnig sehr eindrückliche, sehr kluge, mich sehr prägende Bücher darüber geschrieben.
Und es ist -weil es für die Gute Welt für Alle unvermeidlich ist- Kern meines Bezahlmodells. Weil ich mit kapitalistischer Logik nicht den Kapitalismus aufheben kann.
Hier findet ihr mein Patreon. Dort könnt ihr, wenn ihr Geld über habt, zum Beispiel 2€, 20€ oder 200€ pro Monat an mich überweisen. Was auch immer sich gut anfühlt. Und ich kann einfach meine Arbeit machen – ohne davon abhängig zu sein, ob die entsprechende Organisation förderfähig ist, Geld hat, etc pp.
Das wäre ein großer Vertruensbeweis. Und ein großer Schritt in die andere Welt, die möglich ist. Und schon am entstehen.
Über das Fragen -:- The art of asking Read More »